Farbe und Struktur - Décalcomanie

Das Verfahren der Décalcomanie - allgemein bekannt unter Bezeichnungen wie "Klecksographie" oder "Abklatschtechnik" - ist ein Farbabzugsverfahren, das von Max Ernst entdeckt und in vielen seiner Werke verwendet wurde. Die von den Surrealisten vertretene Forderung nach der Ausschaltung des steuernden Bewusstseins zugunsten der Kräfte des unterbewussten Trieblebens führte zur Einbeziehung des Zufalls in den Gestaltungsprozess. Ernst deutete im Farbabzug entstandene Strukturen zu mystischen Traumwelten aus, indem er weitere Techniken einbezog (u.a. Frottage, Grattage, Collage, Zeichnung, Malerei). So entstandene phantastische Figuren, Tiere oder Fabelwesen, geheimnisvolle Landschaften und Bauten üben eine faszinierende, z. T. auch beunruhigende Wirkung auf den Betrachter aus.
Die Décalcomanie ist dem Bereich der Monotypie zuzuordnen, unterscheidet sich aber dadurch, dass sie ohne vorherbestimmten Gegenstand (Motiv) Bestandteil oder Ergebnis eines Gestaltungsprozesses ist. D. h. sie zielt nicht darauf ab, ein Motiv abzubilden, sondern selbständig als Motiv zu fungieren.

Materialien

  • Unterlage (Glasplatte, Papier, Hartfaserplatte)

  • Farben (Ölfarben, Dispersionsfarben, Temperafarben, Aquarellfarben, Wasserdeckfarben),

  • Borstenpinsel

  • Papier

  • Lösungsmittel (Terpentinersatz) oder Wasser.

Zur Vorgehensweise

"Streichen Sie mit einem breiten Pinsel Deckfarbe an manchen Stellen mehr oder weniger dünn auf ein glattes weißes Papier, bedecken Sie dieses gleich mit eben so einem Blatt und üben Sie mit dem Handrücken einen mittleren Druck darauf aus. Heben Sie langsam dieses zweite Blatt vom oberen Rand her so ab, wie ein Abziehbild, um es dann so oft wieder anzupressen und abzuheben, bis es annähernd trocken ist. Was Sie vor sich haben, ist vielleicht nur die alte paranoide Mauer Leonardos, aber zur Vollkommenheit gebracht. Es mag Ihnen z. B. genügen, dem gewonnenen Bild einen Titel danach zu geben, was Sie mit Abstand darin entdecken und Sie können sicher sein, sich auf die persönlichste und gültigste Weise ausgedrückt zu haben" (A. Breton).

Auf eine Unterlage werden Farben aufgetragen. Verwendet man Ölfarben, so fügt man Lösungsmittel hinzu. Verwendet man Temperafarben, Aquarell- oder Deckfarben aus dem Tuschkasten, so fügt man Wasser hinzu. Wichtig ist, dass reichlich Lösungsmittel oder Wasser verwendet wird.

Anschließend legt man ein Blatt Papier, das etwas größer als die Unterlage sein sollte, auf die Farbe. Ehe diese trocknen kann - es bleibt also nicht unbegrenzt viel Zeit -, bearbeitet man das Blatt Papier (je nach Belieben mit den Fingerspitzen, mit der Handkante oder dem Handballen), indem man es drückt, reibt, darüber wischt oder presst, bevor man es schließlich mit einem Ruck nach oben schnell von der Unterlage abzieht.

Durch die Bearbeitungsmethode und das schnelle Abziehen sind auf dem Blatt verschiedenste Strukturen und Farbverläufe entstanden. (Zum Trocknen sollte das Blatt anschließend flach abgelegt werden, damit die Farben nicht weiter verlaufen können.)

Die fertigen Arbeiten benötigen ggf. ein Passepartout, da am Rand des Blattes nur wenige und unregelmäßige Farbspuren verbleiben. Die entstandenen Strukturen konzentrieren sich auf die Mitte des Blattes. Durch Malen und Zeichnen kann man diese Strukturen bis an den Bildrand weiterführen und ergänzen.

Zufallsstrukturen

Das Verfahren der Decalcomanie unterscheidet sich von anderen Zwischentechniken, da Zufälligkeiten in den Gestaltungsprozess eingehen. Die Materialeigenschaften der Farbe lassen Spuren, Strukturen und Zeichen entstehen - das Ergebnis des Farbabzugs lässt sich nicht im Voraus planen.

Die Beschäftigung mit diesem Verfahren eröffnet ein experimentell-spielerisches Moment. Man erzielt stets neuartige und verblüffende Ergebnisse. Variationen in der Farbauswahl und der Bearbeitung des Blattes (Fingerdruck, Reiben, Knüllen usw.), Wiederholung des Farbabzugs, führen zu immer neuen Bildgefügen.
Durch eine bildnerische Interpretation der Zufallsstrukturen (durch Malen, Zeichnen, Montage) wird ein Einfluss auf das Endergebnis möglich.

Aus- und Umdeuten

Die entstandenen Bildgefüge lassen oftmals Ausdeutungen zu. Interpretationen könnten z. B. auf der Assoziation verwunschener Landschaften, Tiere und Geister beruhen. Die Kontexte, die herausgelesen werden, sind von Betrachter zu Betrachter verschieden. Individuelle Stimmungen, Imaginationskraft und Phantasie beeinflussen das Urteil. Durch gezieltes Hinzufügen, Überzeichnen oder Übermalen lassen sich die Assoziationen verstärken. Ein ausgemalter Vorder- oder Hintergrund kann z. B. die Bildwirkung verstärken. Strukturen können umorganisiert, d. h. durch Collagieren in neue Beziehungsgefüge integriert, oder durch Umgestaltung noch intensiviert werden.


Dagmar Wilde / Seminarpapier FS VU / 07/99


 

 

 

©opyright Dagmar Wilde, Berlin, April 2001

letzte Aktualisierung 06.04.2003

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